Fabrik SALZMANN & COMP. Kassel / Architektur / Eine große Zahl historischer Aufnahmen der Fabrik Salzmann & Comp.finden Sie unter Geschichte in den einzelnen Jahrbüchern |
Dr. Folckert Lücken-Isberner
Das Kasseler Industriedenkmal Salzmann & Comp. und seine Bedeutung für die Architekturgeschichte Die Fabrik von Salzmann & Comp. steht heute als noch verbliebene Ikone der für Kassel so prägenden Epoche der Industrialisierung sehr umfassend unter Denkmalschutz, der sich gleich vierfach herleitet: aus geschichtlichen, aus künstlerischen, aus städtebaulichen und aus technischen Gründen. Mehr Punkte kann die Denkmalpflege nicht vergeben. Die Fabrik ist somit als ein ausgesprochen hochkarätiges Kulturdenkmal einzuordnen. Hier soll speziell auf diejenige Denkmalwürdigkeit eingegangen werden, die sich aus „technischen Gründen“ herleitet. Dabei wird das Wechselverhältnis von Baukonstruktion und Architektur betrachtet. Die beiden heute noch bestehenden Hauptgebäude in ihrer zweiflügeligen Anordnung stellen den ausgeprägtesten und letzten baulichen Stand der Unternehmens- entwicklung dar. 1905 (Gebäude an der Sandershäuser Strasse) und 1912-13 (Gebäude auf der Grundstückstiefe) entstanden, verkörpern sie großvolumige mehrgeschossige Produktions- und Verwaltungsbauten auf dem modernsten Stand ihrer Zeit. Der „modernste“ Stand ist allerdings beim Blick von außen in keiner Weise ersichtlich. Im Gegenteil: präsentieren sich doch sehr traditionelle Fassaden in Backstein gemauert, wie wir sie aus früheren Baugeschichtsepochen kennen. Auch die Formensprache vorgesetzte „gotische“ Treppengiebel, vertikal gegliederte Wandflächen, horizontal umlaufende Ornamentbänder, Fenster mit Halbrundbögen signalisieren eher „Vergangenheit“, keinesfalls aber die aufkommende „Moderne“. Es war zu der Entstehungszeit in den 1910er Jahren üblich, dass die Architektur in der Regel noch keine eigene Formensprache für die neuen Industriebauten gefunden hatte, die in ihren Hüllen modernste Anlagen für die Produktion bargen. Stattdessen wurden die Großanlagen für die neuen Aufgaben des Industriezeitalters das galt auch davor schon für Bahnhöfe, Markthallen oder Einkaufsgalerien mit historisierenden Fassaden verkleidet. |
Die Industriebarone wollten mit ihren Funktionsbauten repräsentieren, wie die Feudalherren mit ihren Herrensitzen vor ihnen. Zugleich galt es, das hässliche Gesicht der industriellen Produktion ästhetisch zu kompensieren. Während die Architektur mit dem Jugendstil noch Anfang des 20. Jhdts. ihren letzten eigenen Ausdruck fand, bevor die Architektur-Moderne sich breit durchsetzte, hatte die Entwicklung im Bauingenieurwesen längst zu revolutionären Erneuerungen gefunden: Der Kristallpalast 1851 in London oder die Maschinenhalle der Weltausstellung in Paris 1889 demonstrierten, wie sich mit Eisenkonstruktionen Großräume erstellen ließen, die bis dahin nicht erreichbare Spannweiten ermöglichten und in Verbindung mit Glas ungeahnte lichtdurchflutete, fast immaterielle Situationen schafften. Jedoch waren das reine Zweckbauten von Ingenieuren, denen sich die Architekten noch verweigerten. Die modernen Baustoffe wie Eisen und Glas erscheinen in ihrer enthüllenden Wesenlosigkeit mit der Forderung der Körperlichkeit in der Architektur unvereinbar, meinte ausgerechnet der Architekt Walter Gropius, der dann mit den Faguswerken in Alfeld 1910-14 (heute Weltkulturerbe genau wegen dieser „Wesenlosigkeit“) selbst den Gegenbeweis erbrachte, wie auch mit dem Bauhaus in Dessau. Zu der Zeit existierten aber die großen Ingenieurbauten wie die Bahnhofshallen in Eisen und Glas schon Jahrzehnte, nur eben noch mit den vorgeblendeten eklektizistischen Fassaden ihrer Architektenkollegen. Auch die Salzmann-Bauten von 1905 und 1912-13, die nach hoher Wahrscheinlichkeit |
Handelt es sich bei dem Gebäude an der Sandershäuser Strasse um eine damals schon lange etablierte Eisengitterkonstruktion, die das Dach stützenfrei trägt, so ist es bei dem jüngeren Bau eine Eisenbetonkonstruktion mit halbrund ausgebildeten Rippen. Längsträger aus Beton verbinden die Rippen miteinander und tragen eine traditionell ausgebildete seitliche Dacheindeckung. Der Mittelteil des Daches ist flach ausgebildet und weist eine gläserne Dachlaterne auf. Diese traditionelle kantige Dachhülle steht noch im Widerspruch zu der modernen Betonrippenkonstruktion, deren Schwung sie eigentlich aufnehmen könnte .(Abb. 1) Dass ein ähnlicher Bau bereits an anderem Ort schon in diesem Gleichklang von innen und außen realisiert wurde, zeigt die zeitgleich entstandene Emaille und Metallwarenfabrik in Bratislava: die rein gläserne Dachhülle nimmt dort vollkommen harmonisch den konstruktiven Schwung der Betonrippen auf. Die Tragkonstruktion der Ingenieure ist hier jetzt von der Architektur unverfälscht akzeptiert. Der Architekt Heinrich Zieger lässt die Konstruktion als von innen wie außen gleichermaßen elementares, sichtbares Element der Gesamtgestalt des Baukörpers zur Geltung kommen (Abb. 2). Es bedarf also keiner kaschierenden Fassade mehr: die moderne Architektur im Industriebau ist somit manifest (form follows function). Das Dachgeschoss des jüngeren Salzmann-Flügels dokumentiert uns heute also im von Dr. Folckert Lüken-Isberner, dwb (Deutscher Werkbund Hessen) |
Abb. 1: Halle im 3. OG des sogenannten Westflügels der Salzmannfabrik (1912-13) / aufgenommen im Januar 2016 Oberlichtboden mit Dach in Eisenbetonrippenkonstruktion, traditionelle Dachhülle mit Dachlaterne. Architekt (vermutl.) Eubell & Rieck |
Bildquelle: http://deutscher-werkbund.de/blog/?p=374 Abb. 2: Emaille und Metallwarenfabrik in Bratislava/Slowakei (1912) Halle mit Dach in Eisenbetonrippenkonstruktion, moderne Dachhülle in Glas |
Bildquelle : Canadian Centre for Architecture (CCA) Abb. 3: Das Konfektionsatelier Esders in Paris (1919) Dach in Eisenbetonrippenkonstruktion, Dachfläche vollständig in Glas aufgelöst |
Foto: Stanislaw Klimek Bildquelle: www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/BKM/2010-09-28-deutsch-kultur-oestliches-europa.html Abb. 4: Die Jahrhunderthalle in Breslau/Wroclaw, Polen (1911-1913) Kuppeldach in Eisenbetonrippenkonstruktion, konzentrische Ringe mit Lichtbändern mehr infos unter: www.quickiwiki.com/de/Jahrhunderthalle_(Breslau) |
Weitere Beispiele aus der Architekturgeschichte
Markthalle in Breslau/ Polen Der rechteckige Grundriss sowie die Gestaltung der Fassade stammen von Richard Plüddemann. Die neugotisch gestaltete Außenfassade ist mit Ziegelsteinen versehen worden. Der Innenbereich wurde von Heinrich Küster gestaltet. Das Dach wird im Inneren durch parabolische Stahlbetonkonstruktionen getragen. (Eröffnung 1908) weitere Infos: https://de.wikipedia.org/wiki/Markthalle_%28Breslau%29 |
Bildquelle: bauphoto | Architektur, Brno, Moderne, Tschechien | Palast für Handel und Industrie / Messe in Brno /Tschechien (Eröffnung 1928) Stahlbetonkonstruktionen mit charakteristischen parabolischen Bögen |